Förderverein der Villa ten Hompel

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Station 11

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Skulpturprojekt „Unsetting the Fragments, Eagle“ – Rothenburg/Ecke Königsstraße

Die sog. „Kleine Wannseekonferenz” zur Vorbereitung der Deportation der Juden aus dem Münsterland Protokoll einer vertraulichen Besprechung vom 20.11.1941 unter Leitung des stellvertretenden Gauleiters mit dem Oberbürgermeister von Münster, Behördenvertretern usw. zur organisatorischen Vorbereitung der Deportationen:

Der Oberbürgermeister                       Münster i. Westf., den 20. November 1941. R.R.SA/Be.

Vertraulich!

l.) Vermerk:
Es fand gestern morgen eine Besprechung unter Leitung des stellvertr. Gauleiters Pg. Stangier statt, an der

Oberregierungsrat Heising vom Oberfinanzpräsidium,

Oberregierungsrat von Hoffmann vom Oberpräsidium,

Dr. Busse von der Stapo,

Polizeipräsident Oberführer Heider,

die Führer der Gliederung der Arbeit einschl. Kreisleiter Mierig,

Gauobmann Schürmann,

der Leiter der Adjutantur Pg.Köhler,

von der Dienststelle des stellvertr. Gauleiters Pg.Thiemann,

sowie seitens der Stadt Münster

der Oberbürgermeister

und der Unterzeichnete teilnahmen.

Die Besprechung war angesetzt worden, um für den bevorstehenden Abtransport der Juden eine einheitliche Regelung zu erzielen und die in anderen Regierungsbezirken gemachten Erfahrungen zu verwerten. Der Wunsch des Gauleiters war, dass eine einheitliche Regelung unter Leitung des Gaues erfolgen solle.

Als Erster berichtete Oberregierungsrat Heising. Er erklärte, dass es in anderen Städten, insbesondere Düsseldorf, zu Unzuträglichkeiten gekommen sei dadurch, dass auf einmal etwa 500 Wohnungen leer gewesen seien und ein Sturm auf die freien Wohnungen eingesetzt habe, dass ferner Schwierigkeiten bei der Instandsetzung der Wohnungen entstanden seien. Das Reich habe die Kosten nicht tragen können, da z. T. nicht genügend jüdisches Vermögen dagewesen sei, aus dem die Instandsetzungskosten hätten bestritten werden können. Die Hauseigentümer behaupteten, die Juden hätten die Schönheitsreparaturen zu tragen gehabt und dieses nicht getan. Auch seien bezügl. des Verkaufs und der Versteigerung zurückgelassener Sachen unangenehme Situationen entstanden, da man ja auch von einer regelrechten Versteigerung heutzutage nicht mehr reden könne, denn für die meisten Sachen gelten Höchstpreise, die aber regelmässig überboten würden und dann müsste der Gerichtsvollzieher irgendeinen von ihnen aussuchen und die Sachen zu dem niedrigen aber Höchstpreisen zuschlagen. Auch sei es vorgekommen, dass die Juden noch in letzter Stunde eine grosse Anzahl Sachen verkauft und z. T. sonstwie weggegeben hätten. Die Rechtslage sei die, dass mit Wirkung vom 15. Oktober das gesamte Judenvermögen beschlagnahmt sei. Da die Juden über die Beschlagnahme selbst nicht in Kenntnis gesetzt seien, wäre also diese Beschlagnahme von sehr geringer Bedeutung. Die Finanzverwaltung sei die Beauftragte des Staates für die Verwertung des Judenvermögens. Es müsse für jeden Juden ein Konto geführt werden, auf dem die Erlöse verbucht würden. Und aus diesem Konto würden auch die Schulden bezahlt, da mit der Übernahme des Vermögens auch die Schuldverpflichtungen im Rahmen der vorhandenen Masse auf das Reich übergegangen seien. Für die Verwertung des Vermögens beständen bestimmte Vorschriften. Schmuckstücke und sonstige Wert-, Gold- und Silbersachen würden nach Berlin geschickt und einheitlich dort verwertet. Gemälde und Kunstgegenstände müssten durch den Landesleiter, Reichskulturkammer, Abteilung bildende Künste, abgeschätzt werden, evt. im Einvernehmen mit dem Leiter der Museen. Ebenso sei bezügl. der Bibliotheken – es sei bei einzelnen Juden eine wertvolle jüdische Bibliothek gefunden worden – mit den zuständigen Leuten Fühlung aufzunehmen. Die Juden seien gehalten, eine Vermögensaufstellung anzufertigen. Es habe sich jedoch herausgestellt, dass dies in kaum 20% der Fälle richtig sei. Die Juden hätten ja auch kaum noch ein Interesse daran, sie richtig aufzustellen. In dem Augenblick des Fortganges der Juden aus der Wohnung müssten daher 2 Finanzbeamte hergeschickt werden, die eine genaue Vermögensaufstellung anfertigten und dann die Wohnung versiegelten. Die Verwertung der Sachen habe dann, wie oben aufgeführt, sehr grosse Schwierigkeiten bereitet.

Zu der Frage der Verteilung der Wohnungen erklärte der stellvertr. Gauleiter eindeutig, dass dieses auch von der Stadt verlangt werde, die Wohnungen möglichst ausschliesslich für Bombengeschädigte zur Verfügung gestellt werden sollten und dass es Wunsch des Gauleiters sei dass beim Gau ein Gremium gebildet werde, dass über diese Fragen entscheide, auch über den etwaigen Verkauf der Judenhäuser und insoweit dem Oberfinanzpräsidium einen einzigen Bewerber, den es aus den vielen herausgesucht habe, vorschlage und ferner, dass dieses Gremium auch etwaige Wünsche der Dienststellen und Behörden auf Zuteilung von Büroräumen prüfe und gegebenenfalls ablehne, wobei er, wie gesagt, grundsätzlich erwähne, dass die Wohnungen nur für Bombengeschädigte zur Verfügung gestellt werden sollten, mit Ausnahme vielleicht der Max-Heindorf-Stiftung für die die Stadt Münster Interesse habe, da in sie vielleicht die Heerde-Stiftung hineinverlegt werden solle, um die gesamten Räume Heerde-Kolleg für die Feststellungsbehörde und das Bauamt zu bekommen. Er habe diesen Anspruch der Stadt als berechtigt anerkannt.

Der zuständige Sachbearbeiter der Stapo, Dr. Busse, erwähnte dann noch die Einzelheiten, wie der Abtransport der Juden vor sich gehen solle. Es gingen aus dem Regierungsbezirk Münster 2 Transporte, einer in die Gegend von Riega [sic], der andere nach Minsk. Die aus Münster kämen mit dem ersten Transport am 13. Dezember vormittags 9 Uhr. Es kämen vorläufig alle Juden mit Ausnahme folgender Gruppen in Betracht:

a) Jüdische privilegierte Mischlinge oder in einer Mischehe lebende Juden,
b) Juden, die sich im geschlossenen Arbeitseinsatz befinden, Juden über 65 Jahre oder Gebrechliche und Kranke.
c) Juden über 65 Jahre oder Gebrechliche und Kranke.

Für Münster bei den etwa 240 Juden blieben noch etwa 115 Juden zurück. Die Juden würden zum Getrudenhof gebracht und dort einer Untersuchung unterzogen. Sie dürften keine Schmuckgegenstände, kein Bargeld usw. mitnehmen. Der Transportführer bekomme für jeden Juden 50.-RM, die den Juden später an Ort und Stelle in Reichskreditkassenscheinen ausgehändigt würden. Die Juden könnten bis 50 Kilo grosses Gepäck mitnehmen an Haushaltsgegenständen, Decken, Bettzeug etc. Die Beendigung der Vorarbeiten müsse bis etwa 8 Uhr morgens fertig sein und er bäte darum, dass vielleicht einige Strassenbahnen zur Verfügung gestellt würden, damit sie geschlossen zur Verladestelle an der Hafenstrasse gebracht werden könnten.

Im Einvernehmen mit dem Oberbürgermeister machte dann der Unterzeichnete für die Stadt Münster folgende Vorschläge:

  1. Verteilung der Wohnungen, wie erwähnt, durch den beim Gau, ebenso der etwaige Verkauf der Häuser.
  2. Bei Durchsicht der Judensachen bäte die Stadt Münster, das städtische Archiv zu beteiligen, da sich bei uns schon eine grosse Judenbibliothek befände und es ja nicht wünschenswert erschien, dass diese Sachen verzettelt würden.
  3. Für Bilder sei ja der Landesleiter der Reichskulturkammer vorgesehen. Evtl. können auch hierbei Sachen für die Stadt Münster von Interesse sein.
  4. Die Stadt Münster werde die Verwertung der gesamten Judensachen übernehmen durch ihre Dienststellen Wohlfahrtsamt und Wirtschaftsamt. Wir würden mit Unterstützung des Nahverkehrs für den Abtransport der Möbel und für die Freimachung der Wohnungen sorgen. Die Sachen würden im wesentlichen an Bombengeschädigte verkauft. Die nicht verkauften und verwertbaren Sachen würden dann irgendwie beseitigt oder vernichtet werden, da sich ja doch bei den Sachen sehr viel Plunder und Ramsch befinde. Die bezugsscheinpflichtigen Waren aber würden im Einvernehmen mit dem Wirtschaftsamt ebenfalls für Bombengeschädigte oder sonstige Bedürftige verwertet und durch die Einschaltung des Wirtschaftsamtes sei dann eine ordnungsmässige Verwertung sichergestellt und gleichzeitig eine Berücksichtigung für etwaige sonstige Bezugscheine, die beantragt würden, möglich.
  5. Die Wohnungen würden durch die Stadt Münster, städtisches Hochbauamt, instandgesetzt, soweit es erforderlich sei. Uns ständen ja die Handwerker zur Verfügung und ich hätte keine Bedenken wegen der Kosten, da ich sie für Bombengeschädigte wieder verwerten wolle. Soweit die Häuser im Eigentum von Juden, also dann im Eigentum des Staates, ständen, würden die Kosten je aus dem Vermögen der Juden gedeckt und in den übrigen Fällen würden die Mittel ohne weiteres aus Bombenschäden genehmigt werden können. Soweit ich unterrichtet sei, seien jedoch nur noch ganz wenige Häuser, in denen z.Zt. Judenfamilien wohnten, in arischem Besitz, da ich die Juden schon 1935/36 lediglich in jüdischen Häusern zusammengesetzt hätte.

Der stellvertr. Gauleiter war mit vorstehender Regelung einverstanden und glaubte, dass irgendwelche Schwierigkeiten in der Stadt Münster nicht entstehen könnten. Man müsse versuchen, eine ähnliche Regelung mit den anderen Städten zu erreichen. Falls in den Städten Bombenschäden beständen, meinte Ob.Reg.Rat Heising, würden sich die Städte weigern, die etwaigen Instandsetzungskosten zu übernehmen. Den Vertretern der Stadt Münster erschien dieses jedoch unverständlich, denn ein Wohnungsmangel werde überall vorliegen und auch für Neuvermählte und sonstige Wohnungssuchende wäre die Beschaffung zusätzlichen Wohnraumes immer erstrebenswert und daher Aufgabe der Städte. Der stellvertr. Gauleiter erklärte, dass der Gauobmann Schürmann als Beauftragter des Gauleiters die Angelegenheiten bei der Gauleitung bearbeite und auch den Ausschuss leiten solle. In den Ausschuss würden die daran interessierten Stellen hineingenommen, insbesondere also auch die Stadt Münster und die Kreisleitung. Der Kreisleiter gab noch bekannt, dass er schon in der Angelegenheit Vorbesprechungen gehabt und auch veranlasst hätte, dass hier in Münster für die Untersuchung der weiblichen Juden entsprechende weibliche Hilfskräfte der Stapo zur Verfügung gestellt würden.

Der Sachbearbeiter der Stapo, Dr.Busse, versprach mir, Anfang der kommenden Woche eine genaue Liste der abzutransportierenden Juden zu übersenden und zwei seiner Beamten zur näheren Regelung herüberzuschicken. Ich legte Wert darauf, weil ja schon ein Plan gemacht werden muss, welche Wohnungen frei werden, um den Umfang der abzutransportierenden Möbel und der Instandsetzungsarbeiten an den Wohnungen festlegen zu können, ferner aber auch, um, da in einzelnen Häusern noch Reste von Juden bleiben würden, diese wieder in anderen Häusern zusammenlegen zu können.

Ob.Reg.Rat Heising bat doch, ihm für den offiziellen Beschlagnahmetag 20 l Benzin zur Verfügung zu stellen, da er ja sonst nicht in der kurzen Zeit zu allen Wohnungen hinkommen könne. Der Herr Oberbürgermeister erklärte, entsprechende Verhandlungen beim Wirtschaftsamt aufzunehmen.

In der Sache selbst entschied der Oberbürgermeister, dass die Bearbeitung sämtlicher Fragen bei dem Unterzeichneten sein solle. Sobald eine Wohnung frei geworden ist und zur Wiederbenutzung zur Verfügung steht, wird die Wohnung, falls ihre grundsätzliche Belegung durch Bombengeschädigte durch den Ausschuss festgelegt ist, Herrn städtischen Rechtsrat Vosskühler zuständigkeitshalber abgegeben.

2.) Durchschlag an

Herrn Rechtsanwalt Wiemann.

Ich bitte Sie, die Verhandlungen mit sämtlichen in Fragen kommenden Stellen zu führen. Auf unsere mündliche Rücksprache nehme ich Bezug. Die Angelegenheit ist äusserst vertraulich zu behandeln.

I.A.
Städtischer Rechtsrat.“

(Quelle: Geschichte original – Am Beispiel der Stadt Münster, Heft  5, Blatt 8, Dok. 22, Aschendorff-Verlag, Münster 1980)